Sehr geehrter Herr Schulz,

ich schreibe Ihnen, weil ich in Ihrem Interview mit ZEIT Campus über folgenden Satz gestolpert bin:
„Wir brauchen eine Bafög-Ausstattung, die zum Beispiel Kindern aus Arbeiterhaushalten die Möglichkeit eröffnet zu studieren.“ (ZEIT Campus 6. März 2016)

Sie antworteten dies auf die Frage, ob das BAföG erhöht werden sollte; welche Sie bejahten. Im Gegensatz zu Ihrer gezogenen Schlussfolgerung kann ich der zitierten Aussage uneingeschränkt zustimmen: Jeder, der die notwendigen Fähigkeiten mitbringt und ein Studium anstrebt, muss auch in finanzieller Hinsicht den Zugang dazu erhalten oder wie der Niederrheiner in mir knapp formulieren würde: Es darf nicht am Geld scheitern!
Ihre Schlussfolgerung, Herr Schulz, ist aber reiner Populismus und nützt in der Debatte um ein faires und sozial gerechtes BAföG niemandem. Das BAföG stellt eine der bedeutsamsten Leistungen unseres Sozialstaats dar und sollte deshalb nicht zu populistischen Zwecken benutzt werden. Allein eine tiefgehende, sachliche Auseinandersetzung mit der Thematik nutzt denjenigen, die es benötigen.
Ich kann verstehen, dass die Debatte besonders kompliziert ist: Beim BAföG trifft die Emotionslosigkeit deutscher Gesetzgebung auf die zutiefst emotionale Frage, ob Eltern ihren Kindern geben, was ihnen zusteht. Man muss sowohl abstrahieren, als auch den Einzelfall sehen. Schon an dieser Stelle könnte auffallen, dass die schlichte Forderung nach einer Erhöhung der Komplexität der Thematik nicht gerecht wird und somit eine differenziertere Betrachtung notwendig ist.

Das BAföG hat Optimierungsbedarf; der BAföG-Höchstsatz ist aber das falsche Mittel

Der Höchstsatz beträgt seit diesem Semester 735 Euro; er wurde damit erst vor kurzem deutlich um 65 Euro angehoben. Die Höhe stellt dabei einen gemeinsamen Beschluss der Länder und des Bundes dar und orientiert sich dabei explizit an entsprechenden Bedarfsstudien, wie z.B. der Sozialerhebung der Studentenwerke.
Diesen Satz gilt es auch weiterhin, an entsprechende Studien angepasst zu halten. Eine davon losgelöste Debatte über mögliche Erhöhungen suggeriert denen, die die Förderung beziehen, zwar einen persönlichen Vorteil, löst aber die Probleme derjenigen, die durchs Raster fallen oder bei denen die Eltern zu wenig zahlen, nicht. Damit geht eine solche Erhöhung an der Problematik vorbei.

Woher kommt also das Gefühl, der BAföG-Höchstsatz sei nicht hoch genug?

Ehrlichkeit statt Populismus
Rhetorik, welche suggeriert, der Staat sei für den Unterhalt der Studenten zuständig, fördert ein Denken, das eine grundsätzlich andere Vorstellung wiederspiegelt, als jenes das von unserer Gesetzgebung impliziert wird und welches Sie, Herr Schulz, später im Interview thematisieren. In Deutschland sind grundsätzlich die Eltern für den Unterhalt ihrer Kinder zuständig und die Kinder später für die Rente und Pflege ihrer Eltern. In diesem Sinne sollte die Politik klar formulieren, was und vor allem wie viel sie bei der Studienfinanzierung von den Eltern erwartet.

Bedarf der Unterhaltpflichtigen reformieren
Demnach sind auch bezüglich der Höhe der Förderung die Verhältnisse der Eltern der richtige Ansatzpunkt. Nach aktueller Gesetzgebung steht den Eltern ein Eigenbedarf zu, welcher in der Höhe dem notwendigen Eigenbedarf nach der Düsseldorfer Tabelle entspricht. Dies kann nicht selten dazu führen, dass, sofern der tatsächliche Eigenbedarf über diesem Wert liegt, Eltern für ihre Kinder in eine kleinere Wohnung umziehen müssten, um diesen finanzielle Unterstützung im Studium zu ermöglichen.
Auf der emotionalen Seite dieser Diskussion kann man jeden Studenten verstehen, der dies seinen Eltern nicht zumuten möchte. Auf der anderen Seite drückt diese Grenze jedoch im Sinne der notwendigerweise emotionslosen Gesetzgebung aus, welche Verpflichtung Eltern gegenüber ihren Kindern haben.
Seit 2014 setzt sich der RCDS dafür ein, dass sich diese Grenze am „angemessenen“ Lebensbedarf orientieren sollte, um die Erziehungsleistung der Eltern bis zum Beginn des Hochschulstudiums besser wiederzugeben. Auf diese Weise würden viele Fälle, in denen heute die Eltern „zu wenig geben“, nun von der Unterstützung nach dem BAföG erfasst und innerfamiliäre Konflikte gelöst.

Einzelfälle finden und ins Gesetz aufnehmen
Eine ständige Aufgabe ist daneben, die Lebensrealität besonders bezüglich Einzelfällen, die durch das Raster unserer Gesetze fallen, zu erkennen und solche Einzelfälle in die gesetzlichen Bestimmungen einzupflegen. Ein Beispiel dafür stellt das eigene Auto von Studenten, die zur Uni pendeln müssen und somit auf dieses Verkehrsmittel angewiesen sind, dar, welchem in der letzten Novelle durch höhere Freibeträge Rechnung getragen wurde. Solches Vorgehen hat auch bezüglich anderer Einzelfälle stattzufinden.

Losgelöst von der Höhe der Leistung müssen aber auch noch andere Bereiche angesprochen werden:
Onlineanträge endlich richtig regeln
Der BAföG-Antrag stellt ein riesiges Bürokratiemonster dar. In der letzten Novellierung wurde versucht, dies durch die Möglichkeit, den Antrag online zustellen, zu reduzieren. Die Umsetzung sollte zu diesem Semester geschehen. Im Ergebnis bedeutet der nun geschaffene Onlineantrag im Vergleich zum Papiergebundenen teils sogar eine Mehrbelastung für Antragsteller und BAföG-Ämter. Hier braucht es zeitgemäße Lösungen, die sich zum Nutzen aller Beteiligten auswirken.

BAföG-Millionen in Bildung investieren
Mit der Übernahme der „BAföG-Millionen“ durch den Bund ging das Versprechen der Länder einher, die dadurch freiwerdenden Mittel in Bildung zu investieren. Es sollte somit zu zusätzlichen Leistungen kommen, da die Länder die Gelder bereits zurückgestellt hatten und die Mittel demnach nicht nur buchhalterisch frei wurden.
Leider ist dies von einigen Ländern in der Folge komplett ignoriert worden. Paradebeispiel ist dafür leider das Land Nordrhein-Westfalen. Hier ist unter der Regierung ihrer Parteigenossen kein Cent zusätzlich in den Hochschuletat aufgenommen worden; stattdessen wurden schon Jahre zuvor zugesicherte Gelder des Hochschulpakts, welchen die Länder mitfinanzieren, hieraus „bezahlt“. Faktisch flossen die Gelder nicht in Investitionen, sondern dienten dem Abbau der Neuverschuldung. Ein solches Vorgehen kann allein zum Rückschritt des Hochschulstandorts führen und widerspricht somit jeglichem Ziel einer verantwortlichen Hochschulpolitik.

In der Hoffnung geholfen zu haben verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen

Matthias Rübo
Landesvorsitzender RCDS NRW